Sozioökonomische Situation des griechischen West-Thrakien
West-Thrakien gehört zu einer der neun geographischen Regionen Griechenlands. Im Osten bildet der Fluss
Evros/Meriç die Grenze zur Türkei, im Westen der Nestos. Im Norden bildet das Rhodopen-Gebirge die
natürliche Grenze zu Bulgarien, im Süden grenzt es an die Ägäis.
Überblick
• West-Thrakien hat eine Flächenausdehnung von 8.578 km2 und besteht aus den drei Präfekturen
Xanthi, Rodopi und Evros.
• West-Thrakien hat etwa 350.000 Einwohner, von denen annähernd 150.000 Türken sind.
• Die türkische Minderheit in West-Thrakien war zu keiner Zeit wirtschaftlich stark.
• Heute gehört West-Thrakien zu den ärmsten und rückständigsten Gebieten Griechenlands.
• Die türkische Minderheit in West-Thrakien ist eine erdverbundene, bäuerliche Gemeinschaft;
etwa 80 % ihrer Haushalte leben von der Landwirtschaft.
• Daher stellt die begrenzte landwirtschaftliche Nutzfläche, die diesen Menschen gehört, ihre einzige
Lebensgrundlage dar.
• Bis in die 1990er Jahre lag der Handel in der Region in den Händen von Händlern aus Athen und Saloniki.
• Mangel an Wissen und Erfahrung im mittleren und Großhandel waren ausschlaggebend dafür,dass die
ortsansässigen Kleinhändler mittleren Alters die notwendigen Investitionen als zu großes Risiko ansahen.
• Theoretisches Handelswissen und Erfahrung der Kleinhändler West-Thrakiens sind überwiegend
passiver Natur.
• Die Dreisprachigkeit der jüngeren Generation in West-Thrakien kann für die Ausweitung
des Handels zwischen Griechenland und der Türkei eine Rolle spielen.
Die Erdöl-Pipeline Burgas – Alexandroupolis
An dem multinationalen Konsortium, das Bau und Betrieb der Erdölleitung übernehmen wird und seinen Sitz in Luxemburg hat,werden Russland einen Anteil von 51 %, Bulgarien und Griechenland von 49 % haben.
Finanzierung der Pipeline
Die Europäische Kommission hatte im Rahmen ihres Programms INTERREG II für die Wirtschaftsförderung außereuropäischer Staaten in den Jahren 1994-99 1,9 Mio. Euro an Fördermitteln für die Projektplanung bereitgestellt, für das gesamte Projekt 2,7 Mio. Euro.
Das Ziel ist die Sicherstellung der Versorgung der EU mit Erdöl aus dem Kaspischen Becken im Rahmen der
EU-Energiesicherheit.
Der für Griechenland vorgesehene Anteil an der Investitionssumme beträgt 354 Mio. Euro, wovon 125 Mio. Euro für Investitionen in der Küstenregion von Alexandroupolis vorgesehen sind.
Die geostrategische Bedeutung der Erdöl-Pipeline und ihr Beitrag zum Umweltschutz
Das Ambo-Pipelineprojekt hat die vierfache Länge der Burgas-Alexandroupolis-Pipeline und auch ihre Kosten werden zweifellos weit über deren Kosten liegen.
Die Ambo-Pipelineprojekt wird darüber hinaus aus strategischen Gründen als notwendig und bedeutsam erachtet.
Man ist sich sicher, dass die 290 km lange Pipeline den Transport des Erdöls auf dem Seeweg deutlich entlasten und insbesondere das Risiko eines Unglücks in den Meerengendurchfahrten des Bosporus bei Istanbul und der Dardanellen bei Çanakkale verringern wird
Andererseits stellt laut einer Untersuchung der ‚Elimination Units for Marine Oil Pollution’ (EU-MOP) aus dem Jahr 2005 die Möglichkeit der Umweltverseuchung in der Nördlichen Ägäis und besonders im Meer vor Thrakien ein großes Risiko dar. Die Umweltgruppe ECOCORFU rech-net mit einer Zunahme der Umweltverschmutzung in der Region infolge der Burgas-Alexandroupolis-Pipeline.
Ein Gemisch aus Abwässern und Rohöl, das bei der Reinigung der Schiffstanks vor der Über-nahme neuen Rohöls anfällt und von den großen Tankern täglich tonnenweise ins Meer abgelas-sen werden wird, wird für eine beträchtliche Zunahme der Verschmutzung in der Region sorgen.
Die EU und die Landwirtschaft in West-Thrakien
• Vom Jahresbudget der EU in Höhe von 90 Mrd. Euro sind 45 Mrd. Euro, das sind 54%,
für die gemeinsame EU-Landwirtschaftspolitik vorgesehen.
• Die Politik der EU zur Protektion der Landwirtschaft, die den Prinzipien der Welthandelsorganisation (WTO)
widerspricht, diente ursprünglich zur Verhinderung von Schwankungen bei den Lebensmittelpreisen.
• Während beim EU-Mitglied Großbritannien, in den USA und bei anderen Weltmarkt-produzenten zwischen
1,5 und 2 % der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig sind, liegt dieser Anteil in Deutschland bei 2,5 %.
• In einer gesunden Volkswirtschaft sollte der Anteil der Industrie am Bruttoinlandspro-dukt bei 20 %, der des Dienstleistungssektors bei 75 % und der der Landwirtschaft bei 5 % liegen.
• In der Region West-Thrakien liegt der Anteil der Landwirtschaft jedoch bei 80 % und davon entfallen
wiederum 80 % auf die Tabakproduktion.
• Außerdem liegen 75 % der Wirtschaft West-Thrakiens in den Händen von Griechen, aber nur 25 % in den
Händen der türkischen Minderheit. Der Hauptgrund für die Rückständigkeit des Wirtschaftslebens in der
Region liegt in dieser ungerechten Verteilung.
Umfang der 2007 bis 2013 für die griechische Verwaltungsregion „Ostmakedonien und Thrakien“ vorgesehenen EU-Strukturfördermittel
Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf in der Verwaltungsregion „Ostmake-donien und Thrakien“ in den Jahren 2000 bis 2004
Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Vergleich zum EU-Durchschnitt
Kaufkraft in Griechenland im gesamteuropäischen Vergleich
Entwicklung des regionalen Wohlstandsindex nach der EU-Erweiterung
X: Entwicklung des Bruttosozialprodukts mit der Erweiterung von 15 auf 27 Mitgliedsstaaten.
Y: Mittlere Zunahme des Bruttosozialprodukts.
EU 15: Zunahme des Bruttosozialprodukts in den 15 ursprünglichen EU Mitgliedsstaaten (EU-15).
EDAÜ: Zunahme des Bruttosozialprodukts der neuen osteuropäischen Mitgliedsstaaten nach dem Beitritt.
EU 27: Zunahme des Bruttosozialprodukts in den 27 EU-Mitgliedsstaaten (EU-27).
Gründe für Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeiten bei der Zuteilung von EU-Fördermitteln:
1. Sozioökonomische Ausgrenzung
• Sozioökonomische Ausgrenzung durch direkte wirtschaftliche Diskriminierung von natürlichen Personen oder
Gesellschaften aufgrund ethnischer oder religiöser Unterschiede.
• Besonders muss darauf hingewiesen werden, dass die Verantwortung für ungerechte Ver-teilung der Fördermittel und dafür, dass den Angehörigen der türkischen Minderheit Informationen über die Existenz dieser Hilfsfonds bewusst vorenthalten wird, bei den regionalen Verwaltungen und Beamten liegt.
2. Soziokulturelle Eigenheiten der muslimisch-türkischen Volksgruppe
• Zu den soziokulturellen Hintergründen gehört, dass die Angehörigen der türkischen Minderheit, auch wenn sie wissen, dass es Fördermittel gibt, nicht die notwendige unter-nehmerische Initiative aufbringen können, um bei den regionalen Behörden Fördermit-telanträge zu stellen.
• Gründe für diese unternehmerische Passivität bei Angehörigen der türkischen Minderheit liegen in gesellschaftlichen und psychologischen Ängsten und Komplexen, die sich auf-grund jahrelanger Einschüchterungs- und Assimilierungspolitik entwickelt haben.
Allgemeine Situation der griechischen Wirtschaft
Anteil Beschäftigter an der Erwerbsbevölkerung in ausgewählten Präfekturen
Arbeitslosenrate in ausgewählten Präfekturen Griechenlands
Anmerkung: Angaben in Klammern sind theoretische Zahlen.
Bruttowerte der Präfekturen innerhalb des Bruttosozialprodukts
Regionales Bruttoinlandsprodukt in 3 griechischen Verwaltungsregionen im Jahr 2004:
Lösungsvorschläge zur Stärkung der Wirtschaft West-Thrakiens
• Eine Strategie zur Senkung der Festkosten für landwirtschaftliche und andere Kleinbe-triebe muss bestimmt werden
• Um sich vor wirtschaftlicher Manipulation zu schützen, müssen sich die Bauern West-Thrakiens in Verbänden organisieren.
• Die verdeckte Arbeitslosigkeit in der Landwirtschaft muss abgebaut werden.
• Entwicklung und Ausbau der wirtschaftlichen und kommerziellen Beziehungen zwischen den türkischen Minderheiten im griechischen West-Thrakien und im Süden Bulgariens im rahmen der EU-Programme INTERREG III.
• Die Wirtschaft in West-Thrakien muss sich in Verbänden organisieren, die mit Finanz- und Fördereinrichtungen in Kontakt treten können, um Zugang zu Investitionskapital zu bekommen.
• Wachsender Einfluss einer liberalen Wirtschaftsauffassung in West-Thrakien wird den Einfluss von chauvinistischem Kapital zurückdrängen, das von extrem nationalistischen Kreisen und der orthodoxen Kirche kontrolliert wird.